03.06.2013

Da haben wir was angerichtet! Fördern Tafeln die Armut? - Armutszeugnis für den Sozialstaat? [Talk] [WDR]



Da haben wir was angerichtet! Fördern Tafeln die Armut? [Talk] [WDR] 
[wdr / 02.06.2013]  Vor 20 Jahren in Berlin als akute Soforthilfe gegründet, gibt es inzwischen bundesweit mehr als 900 Tafeln. Sie betreuen regelmäßig rund anderthalb Millionen Menschen. Doch der Erfolg der Bewegung ist nicht unumstritten und das Jubiläum längst nicht für alle ein Grund zum Feiern. Denn die Tafeln, so sehen es Kritiker, setzen am Symptom der Armut an und nicht an den Ursachen. Sie sind Teil der stetig wachsenden Armutsindustrie, binden Bedürftige an sich, entlassen den Staat aus seiner Verantwortung und verfestigen die Missstände, anstatt sie zu bekämpfen. Sind 20 Jahre Tafel-Bewegung ein Armutszeugnis für den deutschen Sozialstaat? Oder können die Tafeln doch Not lindern und individuelle Hilfe leisten? Wer profitiert von ihnen und wem schaden sie? Müssen wir als Gesellschaft radikal umdenken und die Politik stärker in die Pflicht nehmen? Ließen sich die Ursachen der Armut durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens und gesetzlich festgeschriebener Mindestlöhne überwinden? Darüber diskutiert Matthias Kremin am 2. Juni im WDR Foyer mit seinen Gästen.
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Gast: Stefan Selke
Stefan Selke, Soziologe an der Hochschule Furtwangen, ist einer der bekanntesten Kritiker der Tafeln. Erstaunt über die rasch wachsende Zahl der Hilfsreinrichtungen, begann er 2007 mit Recherchen vor Ort. Dabei hat er eine Parallelwelt entdeckt. Es ist die Welt der Hartz-IV-Empfänger, der geringfügig Beschäftigten und aus der Bahn Geworfenen, die am Rande der Gesellschaft zurechtzukommen versuchen.

Das Ergebnis seiner Recherchen ist ernüchternd: "Statt an einer Abschaffung der Armut mitzuwirken, beteiligen sich die Tafeln an einer Segmentierung der Gesellschaft in 'Oben' und 'Unten'. Bedürftige Menschen werden durch ein gut funktionierendes Tafelsystem zwar nicht vom Staat, dafür aber umso effektiver von freiwilligen Hilfsorganisationen 'ruhig gestellt'." Zum Jubiläum initiierte er das "Kritische Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln". Ziel ist es, durch eine Mindestsicherung die Tafeln überflüssig zu machen. "Die Tafeln sind für mich ein Symbol für fremdbestimmtes Leben und fremdbestimmte Versorgung. Ihr Jubiläum ist kein Grund zum Feiern." Buchtipps

Stefan Selke: Schamland. Die Armut unter uns.
Econ 2013, Preis: 18 Euro



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